Bei der Betrachtung von Gesetzgebungsprozessen kann zwischen vertikalen und horizontalen Verhandlungssystemen unterschieden werden. Auf nationaler Ebene mit dem deutschen Verbundföderalismus besitzen die Länder über den Bundesrat einen starken Einfluss auf die Gesetzgebung auf Bundesebene, sind aber parallel in nur noch wenigen Policy-Bereichen in der Lage autonom zu handeln. Wirtschaftspolitik beispielsweise kann auf Landesebene nur als Standortpolitik betrieben werden, indem mit Infrastrukturangeboten oder Subventionen um Investoren geworben wird. Generelle makroökonomische Rahmenbedingungen müssen dagegen mit dem Bundestag und der Bundesregierung vertikal ausgehandelt werden. Es ist von Bedeutung, dass nicht die Landesparlamente, sondern die Landesregierungen das jeweilige Land im Bundesrat oder anderen Verhandlungsarrangements vertreten, es keine weisungsgebundenen Mandate gibt und eine zunehmende Exekutivlastigkeit von Landespolitik zu verzeichnen ist. Die generelle Bereitschaft zur Kooperation steht dabei im Gegensatz zu den bundespolitischen Strategien der Parteien und den Koalitionskonstellationen der Landesregierungen, welche zu Blockadehaltungen bei Gesetzgebungsvorhaben führen können. Die bundespolitischen Konfrontationen der SPD-geführten, sogenannten A-Länder, im Bundesrat mit den B-Ländern der CDU werden in neuester Zeit erweitert durch die wachsende Bedeutung, Etablierung und dem gesteigerten Geltungsanspruch der grün geführten und grün mitregierten Länder.
Bei der Betrachtung horizontaler Verhandlungssysteme werden die Verhandlungs- und Problemlösungsstrategien betrachtet, welche Landesregierungen wählen, um Entscheidungen konsensual mit Interessenverbänden und wichtigen Akteuren eines Politikfeldes zu erarbeiten. Dies ist dann der Fall, wenn keine direkten Steuerungsinstrumente wählbar sind oder nicht als effektiv gelten. Je nach Art der Verhandlungslösung und Art der Übereinkunft, wie etwa, wenn es sich um freiwillige Verpflichtungen der Wirtschaft handelt, ist deren Verbindlichkeit begrenzt. Nordrhein-Westfalen gilt in der Tradition Karl Arnolds als starker Vertreter einer Politik der Akkomodierung, also der Anpassung, und korporatistischer Verhandlungslösungen, welche über Jahrzehnte und Parteigrenzen hinweg den Politikstil des Landes prägten. Korporatismus und Akkomodierung sicherten bei landespolitischen Entscheidungen stets die Einbindung von zivilgesellschaftlichen Akteuren wie Wirtschafts-, Sozial- und Sportverbänden, der Kirchen und Gewerkschaften sowie vergleichbaren Nicht-Regierungsorganisationen und kollektiven Akteuren.
Beispiele für Verhandlungslösungen in Düsseldorf sind der „Ausbildungskonsens NRW“ welcher 1996 unter Rau gegründet wurde, das „Bündnis für Arbeit NRW“ von 1998 unter Clement oder der Prozess der rot-grünen Landesregierung unter Kraft zur Aufstellung eines neuen Landesentwicklungsplanes. Für das Strukturmerkmal der Verhandelnden Wettbewerbsdemokratie maßgeblich sind dabei die Exekutivlastigkeit, der Verhandlungszwang und der Parteienwettbewerb.
Um die Bedeutung von Nebenverhandlungen zu unterstreichen ist ein Blick auf den Gesetzgebungsprozess zum Steinkohlefinanzierungsgesetz (SteinkohleFinG) hilfreich. Die maßgebliche Initiative zu jenem Gesetz, welches den Ausstieg aus der Steinkohlesubventionierung bedeutete, kam von der schwarz-gelben Landesregierung unter Rüttgers. Er hatte die Thematik im Wahlkampf hervorgehoben und in der Regierungserklärung am 13.07.2005 stark akzentuiert. Gerade durch die große Informalität und das netzwerkorientierte Verhandlungsarrangement gelang es bereits vor Ablauf der Hälfte der Regierungszeit am 30.11.2007 zu einer positiven Abstimmung im Bundestag zu gelangen.
Um die bis 2007 insgesamt 130 Milliarden Euro umfassende Subventionierung zu beenden, setzte Rüttgers, mit der Unterstützung von Angela Merkel, auf eine starke Konsensorientierung und die direkte Einbindung der wirtschaftlichen Seite. Für die RAG übernahm Werner Müller die entscheidende Rolle und nutzte dabei die enge Absprache mit Hubertus Schmoldt, welcher die Gewerkschaftsinteressen einbrachte. Die informellen Verhandlungen erreichten ihren Höhepunkt im Frühjahr 2007. Im Koalitionsausschuss am 29.01.2007 gab die Große Koalition eine grundsätzliche Einigung über die Zukunft des deutschen Steinkohleabbaus bekannt. Darauf aufbauend verhandelte die Bundesregierung erfolgreich mit den Bergbauländern Nordrhein-Westfalen und Saarland und verkündete am 07.02.2007, dass der deutsche Steinkohlebergbau ab 2018 keine Subventionen mehr erhalten werde. Die sogenannten „Eckpunkte einer kohlepolitischen Verständigung“ wurden von Vertretern des Bundes, der Länder NRW und Saarland, des RAG-Konzerns und der IG BCE unterzeichnet und stellen das entscheidende Ereignis in dem Policy-Prozess dar. Damit jedoch der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum SteinkohleFinG vom 04.10.2007 möglich wurde, mussten mehrere Vorbedingungen erfüllt werden. Eines dieser Arrangements ist der die sogenannten „Bergmannswohnungen“ betreffende Vergleich, welcher der IG BCE ein Wohnungsbauvermögen im Gegenwert von schätzungsweise 450 Mio. Euro zusprach. Diese Verhandlungen sind unter strenger Geheimhaltung geführt worden und können als Paradebeispiel für arkane Entscheidungsfindung stilisiert werden. Es ist sicher, dass es ohne Einigung bei dieser Nebenverhandlung keine generelle Einigung über das Ende der Subventionierungen und keine Zustimmung der Gewerkschaft hätte geben können. Die Organisationsfähigkeit der IG BCE, deren Drohpotential und befürchtete Massenproteste wie zu Zeiten von Kühn waren ein immanentes Verhandlungsinstrument der Steinkohlewirtschaft und sollten aus Perspektive der Landes- und Bundesregierung unbedingt vermieden werden.
Dieser Vergleich wurde am 14.06.2007 finalisiert. Endgezeichnet wurde er von dem Wohnungsunternehmen Treuhandstelle für Bergmannswohnstätten im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbezirk GmbH in Essen (THS), deren wirtschaftlichem Eigentümer, der RAG Beteiligung-AG (RAG BG), sowie der Vermögensverwaltungs- und Treuhandgesellschaft mbH der IG BCE (VTG). Auf staatlicher Seite unterschrieb der Bund, vertreten durch das Bundesministerium der Finanzen und das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Der wichtigste Inhalt betrifft 450 Mio. Euro, welche der Bund als Abfindung für die Aufgabe seiner Ansprüche auf das Bergmannssiedlungsvermögen erhielt. Dieser Betrag setzte damit auch den Wert des Immobilienvermögens fest, über welchen bis dahin Ungewissheit bei der Ermittlung geherrscht hatte. Durch die Einigung wurde die IG BCE zu einer der reichsten Gewerkschaften weltweit. Die Begründung des Vergleichs ermöglicht dabei einen Einblick in den Entscheidungsfindungsprozess: „Der Vergleich wurde geschlossen, um langwierige und kostspielige gerichtliche Auseinandersetzungen mit ungewissem Ausgang zu vermeiden und war aus Sicht des Bundes daher zweckmäßig und wirtschaftlich (§ 58 BHO). Den Vergleich gegenüber der IG BCE und RAG durchzusetzen war schwierig. Die Verhandlungen über den Ausstieg aus dem Steinkohlebergbau und den Börsengang der RAG haben den Vergleichsabschluss erheblich gefördert.“ (BMF 2007)
Erst im Anschluss wurde die RAG Stiftung am 26.06.2007 gegründet und die Aktienabtretung von E.ON, RWE und ThyssenKrupp zum symbolischen Kaufpreis von jeweils einem Euro am 07.08.2007 vereinbart. Damit wurde eine informelle Nebenverhandlung zu einem der zentralen Einigungsgründe in der netzwerkorientierten Verhandlungsdimension zwischen Bergbauländern, dem Bund und der Steinkohlewirtschaft. Politisch höchst relevant, aber öffentlich wenig beachtet, bleibt für das politische Publikum dabei offen, wie viele entscheidende andere Nebenverhandlungen nicht oder zu wenig bekannt sind.
Dieser Debattenbeitrag ist am 14.01.2019 im „hammelsprung – Magazin für politische Entscheidungen“ erschienen.
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