In Großbritannien haben Aktivist*innen der Bewegung Extinction Rebellion (XR) im vergangenen November fünf Themse-Brücken besetzt und nannten diesen Tag den „Beginn einer internationalen Rebellion gegen die Untätigkeit in der Klimakrise“. Seitdem haben sich in Deutschland 22 Ortsgruppen gegründet. Sieben davon kommen aus NRW. Doch was ist das für eine Bewegung und welche Ziele zeichnet sie aus?
Inspiriert von ihren Vordenker*innen aus Großbritannien formt sich gerade in Europa und in Deutschland ein neues ökologisches Netzwerk, dessen Mitglieder bereit sind für ihre Ziele ins Gefängnis zu gehen. In ihrem Manifest ruft die Gruppe zu einer gewaltfreien Rebellion auf und stellt fest, dass „die Auswirkungen unseres Handelns, seien es CO2-Ausstoß, Fracking, Rodungen, Massentierhaltung, Überfischung und Vermüllung der Meere das Leben auf unserem Planeten“ bedrohen. Auch das Aussterben der Menschheit wird als reale Gefahr betrachtet, da „die Entscheidungen und Handlungen unserer Regierungen in keinem Zusammenhang zu der elementaren Bedrohung und der fortschreitenden Zerstörung unseres Lebensraums und unserer Verpflichtung gegenüber nachfolgenden Generationen stehen“.
Eines der frühen Mitglieder der noch jungen Bewegung ist Marcus Heldt. Er ist Mitgründer einer der sieben Ortsgruppen in Nordrhein-Westfalen und begeistert von der Aktivität in dem Netzwerk. In einer alteingesessenen ökologischen Nichtregierungsorganisation (NGO) habe er nicht mehr die Bereitschaft vorgefunden sich entschlossen und öffentlichkeitswirksam für aktuelle Naturschutzbelange vor Ort und überregional einzusetzen. Deshalb habe er gemeinsam mit Bekannten gesucht und bei Extinction Rebellion eine neue Heimat gefunden. Noch befindet sich die Bewegung hierzulande im Aufbau und Vieles passiert im Internet, aber die Mitgliederentwicklung ist beachtlich. Von Anfang Januar bis heute ist die Zahl der Ortsgruppen von zwölf auf 22 angewachsen. Die Gruppen vernetzen sich über soziale Medien und kommunizieren unbürokratisch über Facebook, WhatsApp oder andere online Kanäle.
„Es wird schon bald mehr von uns zu lesen sein“
Ende Dezember habe ein Netzwerktreffen von Gruppengründer*innen stattgefunden, berichtet Heldt. Dort seien zwei bis drei Personen pro Ortsgruppe anwesend gewesen und erste Aufgaben in Gebieten wie Marketing oder IT verteilt worden. Zur weiteren Entwicklung ergänzt er: „Wir wollen es richtig machen. Das benötigt Zeit. Aber es wird schon bald deutlich mehr von uns zu lesen sein.“ Einige große Aktionen seien bereits für die nächsten Monate geplant.
„Jeder sieht‘s und es werden immer mehr die sagen, ‚Es kann nicht so weiter gehen!‘“
Richtig los ging es bisher vor allem in England. Dort hat es ungefähr ein Jahr gebraucht, um die Strukturen aufzubauen, bekannt zu werden und Aktionen wie letztes Jahr an der Themse zu organisieren. „Das Ziel der Gruppen in anderen Ländern und auch in Deutschland ist es kein Jahr dafür zu brauchen, um den gleichen Bekanntheitsgrad zu erreichen und solche Menschenmassen generieren zu können, sondern ein halbes Jahr. Wir wollen bis April soweit sein“, sagt Heldt in einem ruhigen aber sicheren und überzeugten Tonfall. „Mittlerweile arbeiten Extinction-Rebellion-Organisationen in 35 Ländern. Aber vieles ist noch im Aufbau, da die Welle ja erst im September/Oktober letztes Jahr in die anderen Länder geschwappt ist. Es dauert also wohl noch ein paar Monate, aber die Verbreitung ist nicht nur ortsgebunden ziemlich groß, sondern auch international.“ Nicht nur in Deutschland haben die Menschen die Zeichen der Zeit erkannt, meint er. „Es ist ja nicht zu übersehen. Jeder sieht‘s und es werden immer mehr die sagen, ‚Es kann nicht so weiter gehen!‘“.
Auf finanzieller Seite gibt es für Extinction Rebellion in Deutschland keine Unterstützung aus Großbritannien. Als gemeinnützige Organisation, ohne Mitgliedsbeiträge und ohne eingetragener Verein zu sein, könne nicht groß mit Geld agiert werden. Wenn beispielsweise ein Raum gemietet oder Material benötigt würde, würde über Crowdfunding innerhalb der Gruppe versucht die Unkosten zu decken. Neben den klassischen Demonstrationen scheinen weiteren kreativen Protestformen auch deswegen keine Grenzen gesetzt. Einzige Bedingung sei, dass diese sich an der gewaltlosen Grundausrichtung von Extinction Rebellion orientierten. Heldt sagt dazu: „Wir wollen, dass keiner jemanden persönlich angreift oder beschuldigt, sondern alles gewaltlos im Rahmen der Gesetze abläuft. Allerdings wird es mit Sicherheit Aktionen geben, wo ziviler Ungehorsam notwendig sein wird.“ Aufhorchen lässt diese Aussage, wenn von internen Umfragen innerhalb von Extinction Rebellion Deutschland berichtet wird. Demnach gäbe es einige hundert Extinction-Rebellion-Aktivist*innen, die „bereit wären sich mal verhaften zu lassen“. Wobei das Ziel sei, Aktionen zu planen, welche dazu führen würden „dann auch umgehend wieder freigelassen zu werden“.
„Es zählt nur der Naturschutz“
Linksradikal sei die Gruppe keineswegs. Politische Richtungen gäbe es nicht. „Es zählt nur der Naturschutz. Wir lassen uns in keine politische Ecke drängen. Wir haben durchaus unterschiedliche Ansichten teilweise, aber wir sind uns einig, dass die Welt in ein paar Jahren in einer ziemlichen Krise stecken wird, wenn es so weitergeht. Und es geht uns tatsächlich einfach um das Ziel unsere Welt für unsere Kinder und Enkel zu erhalten.“
Angesprochen fühlen könne sich bei Extinction Rebellion jede*r. Unabhängig von politischer Gesinnung, Alter, Religion, oder sonst irgendwas. Wer mitmachen möchte könne sich online eintragen oder sich per E-Mail an seine*ihre nahegelegenste Ortsgruppe wenden. In NRW gibt es mittlerweile Aktive in Dinslaken, Düsseldorf, Gießen, Köln, Minden Lübbecke und Siegen. In Bielefeld und Bonn seien welche in Planung. Für das Ruhrgebiet gibt es dabei eine besondere regionale Gruppe, welche versucht alle Engagierte aus Städten wie Bochum, Dortmund, Duisburg, Essen oder Oberhausen zu vereinen.
Aber ist das Aussterben der Menschheit nicht reine Angstmacherei? Für Marcus Heldt gibt es eine klare Antwort: „Jeder der sich für die Umwelt engagiert und mit offenen Augen durch die Welt läuft, sieht, dass sich die Lage in den letzten Jahren deutlich verschlechtert hat. Wir sollten das nicht als Panikmache begreifen, sondern als Realität.“
Dieser Beitrag ist am 21.01.2019 in der ak[due]ll erschienen.
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