Mit dem Titel „Der Wolf in NRW – Balance zwischen Ökologie und Weidetierhaltung“ haben die drei Landesarbeitsgemeinschaften “Ökologie”, “Tierschutzpolitik” sowie “Wald, Landwirtschaft und ländlicher Raum” der GRÜNEN NRW ein Positionspapier erarbeitet und an den Landesvorstand und die Landtagsfraktion der Grünen NRW übersendet.
In einem intensiven Diskussionsprozess und unter Anhörung von diverser Fachexpert*innen haben sie die LAGen der Wolf-Thematik mit der Fragestellung auseinandergesetzt, wie ein möglichst konfliktfreies bzw. -armes Miteinander von Wolf und Mensch sowie die Vermeidung von Übergriffen auf Schafe, Ziegen, Rinder, Gehegewild, Alpakas sowie Pferden gestalbar ist. Es soll helfen, mit einem gemeinsamen, klar justierten Kompass die Diskussion um eine Wolfsverordnung weiter voranzutreiben.
Hier der Wortlaut des Positionspapiers, welches im November und Dezember 2021 in den verschiedenen LAGen jeweils beschlossen wurde:
Der Wolf in NRW – Balance zwischen Ökologie und Weidetierhaltung
Seit dem Nachweis der ersten Wolfswelpen in Sachsen im Jahr 2000 gelten Wölfe wieder als heimisch in Deutschland. 2020 wurde der Bestand deutschlandweit auf 128 Wolfsrudel, 35 Paare und 10 territoriale Einzeltiere geschätzt. Besonders Dutzende abwandernde Jungwölfe sind dabei immer wieder auf der Suche nach neuen Territorien. Ausgehend von Sachsen ist der Wolf inzwischen in Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen dauerhaft nachgewiesen. In Bayern, Thüringen und Baden-Württemberg gibt es Einzelnachweise. Auch die westlich gelegenen Niederlanden und Belgien sind mittlerweile von Wölfen besiedelt.
Ab 2009 kamen daraufhin erste Nachweise in NRW sowie in den Jahren 2014 und 2015 weitere Nachweise im Kreis Minden-Lübbecke und im Kreis Siegen-Wittgenstein hinzu. Im Kreis Wesel und am Niederrhein wird seit 2016 von der Ankunft der Wölfe gesprochen1. Mit Stand vom 25.07.2021 gab es Wolfsgebiete in der Umgebung von Schermbeck, Senne, Eifel-Hohes Venn und im Oberbergischen Kreis. Der Teutoburger Wald, das Sauerland und das Rothaargebirge sowie die Eifel sind in NRW Wolferwartungsgebiete. Mit durchziehenden Wölfen ist hingegen, wie zuletzt in der Kölner Innenstadt, landesweit zu rechnen.
Aktuelle Entwicklung und Problemlage in NRW
Die bislang getroffenen Regelungen zum Wolfsmanagement in NRW2 müssen vor dem Hintergrund der oben beschriebenen dynamischen Entwicklung als unzureichend bewertet werden. Neben einem effizienteren Herdenschutz und besser zugänglichen Fördermitteln für Betroffene bedarf es daher weiterer Maßnahmen und rechtlicher Regelungen, um eine möglichst konfliktfreie Koexistenz mit Wölfen zu ermöglichen und dem seit 1979 bestehenden europarechtlichen Schutzstatus des Wolfes gerecht zu werden.
Dabei darf der Schutzstatus für den Wolf als geschützte Art nicht in Frage gestellt und die Wolfspopulation insgesamt nicht gefährdet werden. Ziel allen Handelns muss ein möglichst konfliktfreies bzw. -armes Miteinander von Wolf und Mensch sein sowie die Vermeidung von Übergriffen auf Schafe, Ziegen, Rinder, Gehegewild, Alpakas sowie Pferden. Vereinzelte Übergriffe auf Kälber, Rinder und (Groß-)Pferde wie in Niedersachsen sind ein Beispiel dafür, dass Landwirtinnen und Hobbyhalterinnen einen Anspruch auf präventive Herdenschutz-Maßnahmen haben sollten. Sowohl die Prävention durch Beschaffung und Aufbau von Zäunen als auch die Entschädigungen sollen bedarfsgerecht ermöglicht werden. Entschädigungen sollen außerhalb von Wolfsgebieten geleistet; in Wolfsgebieten dann, wenn Herdenschutzmaßnahmen ergriffen wurden. Keine Tierhaltung soll nach Meinung der GRÜNEN aufgrund von Angst, fehlender finanzieller Mittel oder personeller Ressourcen unmöglich werden dürfen.
Der Fall der Wölfin Gloria im Wolfsgebiet Schermbeck
Insbesondere im Wolfsgebiet Schermbeck kam es wiederholt zu Rissen. Im Jahr 2018 wurden 18 Vorfälle mit insgesamt 47 getöteten Nutztieren nachgewiesen, 2019 waren es 18 Vorfälle und 39 getötete Nutztiere und 2020 waren es 20 Vorfälle mit 25 getöteten Nutztieren unter denen auch zwei Ponys waren. Nachweislich wurden alle Risse im Wolfsgebiet Schermbeck von der Wölfin GW954f durchgeführt.
Diese Wölfin zeigt ein sehr hohes individuelles Lernverhalten. Die zunächst vom LANUV empfohlenen Herdenschutzzäune von 0,90 m wurden ebenso überwunden wie die daraufhin empfohlene Zaunhöhe von 1,20 m. Es ist also davon auszugehen, dass die Wölfin sich entsprechende Fähigkeiten antrainiert hat.
Die Attraktivität des “Wolfsgebiet Schermbeck” garantiert mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass, sollte es keine Wölfe mehr in der Region geben, es nur eine Frage der Zeit wäre, bis Wölfe wieder dort heimisch werden würden.
Für uns ins klar, dass das LANUV als zuständige Fachbehörde zusammen mit dem MULNV und der Ministerin Frau Heinen-Esser stärker in die Pflicht genommen werden und so schnell wie möglich handeln muss.
Wolfsmanagement in NRW etablieren
Über die Rückkehr des Wolfes wird seit Jahren eine Debatte zwischen Naturschutz und Landwirtschaft geführt. Auch Jägerschaft und Hobbytierhalterinnen stehen dem Wolf durchaus kritisch gegenüber, während in weiten Teilen der Bevölkerung ein eher romantisierendes Bild gepflegt wird. Dabei kommt der Politik und den Behörden die Rolle zu, die Konflikte zwischen Naturnutzerinnen und Naturschützerinnen zu moderieren, zu versachlichen und tragfähige Entscheidungen zu treffen. Das dafür geeignete Instrument „Wolfsmanagement“ ist in Nordrhein-Westfalen allerdings bisher noch nicht ausreichend etabliert.
Akzeptanz fördern und erhalten
Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen dient nach unserer Überzeugung immer auch den Interessen der Land- und Forstwirtschaft. Die Wiederbesiedlung unseres Bundeslandes durch den Wolf und andere große Raubtiere ist auch Ausdruck eines erfolgreichen Landschafts- und Artenschutzes. Dieser Erfolg ist ohne die konstruktive Mitwirkung engagierter Akteure auf dem Land nicht möglich, und dazu zählen in erster Linie auch die Landwirtinnen. Die repräsentative forsa Umfrage im Auftrag des NABU (2015) zeigt: Die größte Ablehnung erfährt der Wolf in ländlichen Regionen. Wir wissen: Der Widerstand gegen seine Rückkehr ist innerhalb des landwirtschaftlichen Berufsstands am stärksten. Es ist heute schon zu erkennen, dass diese unterschiedliche Haltung in Stadt und Land von interessierten politischen Gruppen instrumentalisiert und geschürt wird. Es muss deshalb Ziel GRÜNER Politik sein, gerade die am meisten Betroffenen, also die Tierhalterinnen auf dem Land, nicht mit den Problemen allein zu lassen. Insbesondere die Schaf- und Rinderhalterinnen gehören zu den wirtschaftlich schwächsten Branchen in der Landwirtschaft. Sie sollten nicht zusätzlich mit den Kosten des Herdenschutzes sowie den Verlusten und Folgeschäden durch Wolfsangriffe belastet werden. Ein kluges Wolfsmanagements muss die Akzeptanz der Ansiedlung von Wölfen in dieser Interessengruppe fördern und wirtschaftlich tragfähig machen. Dies ist allerdings derzeit noch nicht der Fall. Für uns GRÜNE ist wichtig, dass gerade die durch den Strukturwandel immer weiter zurückgedrängte bäuerliche Landwirtschaft mit Weidetierhaltung nicht zusätzlich durch den Wolf in ihrer Existenz gefährdet wird.
Entscheidend für diese Akzeptanz ist, wie der wachsenden Bedrohung von Nutz- und Hobbytieren begegnet und vorgebeugt wird. Dazu fordern wir die Landesregierung auf, den betroffenen Tierhalterinnen eine bestmögliche Unterstützung zu gewähren. Diese sollte in kompetenter fachlicher Beratung und kostenfreien und für Hobbytierhalterinnen verpflichtenden Zaunbau-Sachkundelehrgängen sowie angemessener finanzieller Unterstützung von geeigneten Schutzmaßnahmen bestehen. Erfahrungen zu bewährten Herdenschutz-Maßnahmen liegen aus vielen Bundesländern vor; sie müssen auch in NRW weiter in die Regelungen des Wolfsmanagement einfließen. Hierbei ist gleichermaßen der Erhalt der Durchlässigkeit von Landschaftsräumen für den Wildwechsel sowie die Wandertierhaltung zu berücksichtigen, die durch eine Intensivierung von höheren Schutzzäunungen beeinträchtigt werden kann.
Zu einem wirksamem und bei den Landnutzerinnen akzeptierten Wolfsmanagement gehören praxisnahe Rahmenbedingungen: Entschädigungen sollten endlich unbürokratischer und schneller gezahlt werden, wenn Wölfe als Verursacherinnen festgestellt werden. Die Haftung bei Folgeschäden, z.B. durch ausgebrochene Tiere nach einem Wolfsangriff, darf die Tierhalterinnen nicht in Anspruch nehmen. In den Fällen, in denen Schutzmaßnahmen entweder noch nicht eingeführt sind oder aber vom Wolf überwunden werden und es zu Rissen bzw. Verletzungen von Weidetieren kommt, müssen die aus Wolfsangriffen resultierenden Schäden vollumfänglich kompensiert werden, solange die erforderlichen Schutzmaßnahmen eingehalten worden sind. Für derartige Entschädigungsleistungen sind eindeutige Rahmenbedingungen zu definieren. Die Ausgleichszahlungen bei Wolfsrissen sollen von den Beschränkungen der europäischen de-minimis Regelung ausgenommen werden. Die drei Landesarbeitsgemeinschaften der GRÜNEN legen Wert auf die Feststellung, dass lange Bearbeitungszeiten, Verzögerungen, bürokratische Behinderungen oder auch restriktive Handhabung der angebotenen Möglichkeiten vermieden werden müssen.
Speziell für durchziehende Wölfe bedarf es einer schnellen “Eingreiftruppe”, um das Erlernen unerwünschter Verhaltensweisen vorzubeugen. Informationen über vorbeugende Präventivmaßnahmen und Notfallsets für Herdenschutz müssen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Eine erfolgreiche Strategie setzt eine den betroffenen Akteurinnen zugewandte Haltung beim Wolfsmanagement voraus, um die oftmals vorhandene Skepsis der Tierhalterinnen zu reduzieren und einer möglichen Eskalation vorzubeugen.
Weideprämie neu gestalten!
Die gesellschaftlich gewünschte, von uns GRÜNEN besonders aus ökologischen und tierschutzbezogenen Gründen, geforderte und maßgeblich unterstützte Weidehaltung wird durch die Rückkehr des Wolfes erschwert und führt bereits jetzt zu deutlich höheren Kosten und Arbeitsaufwand. Gerade in der Schafhaltung ist dieser zusätzliche Aufwand durch die sehr extensive Weidehaltung hoch und führt zu weiteren Betriebsaufgaben, welche gerade die Schafhaltung mit kleineren Herden an die Grenze ihrer Belastbarkeit bringt. Der Landtag NRW hat schon im Juni 2014 aufgrund der rapide abnehmenden Zahl schafhaltender Betriebe einstimmig beschlossen, die Zukunft der Schafhaltung in Nordrhein-Westfalen zu sichern. Wir schlagen deshalb erneut vor, die Einführung einer Weideprämie für alle Nutztierarten (insbesondere Mutterkühe, Schafe und Ziegen) zu prüfen und dabei die höheren Belastungen durch den aufwändigeren Herdenschutz zu berücksichtigen.
Es sollten sowohl weitere personelle als auch finanzielle Kapazitäten bereitgestellt werden, um den neuen Belastungen in NRW zu begegnen. Wir schlagen die Schaffung von rechtssicheren Rahmenbedingungen vor, welche insbesondere Versicherungs- und Haftungsfragen bei Weidetieren mit einbeziehen. Dazu gehört im Besonderen eine Wolfsverordnung für NRW, welche, auch im Ländervergleich, bei allen Beteiligten für dieselben verbindlichen Definitionen bspw. bei “zumutbaren wolfsabweisenden Schutzmaßnahmen” sorgt. Die Protokollierung von Wolfsrissen soll zukünftig von Vertreterinnen des LANUV und der Landwirtschaftskammern gemeinsam durchgeführt werden. Es muss ein einheitliches Kontrollprotokoll entwickelt werden nach Vorgaben des präventiven Zaunbaues; der Durchschlag des Protokolls verbleibt im kontrollierten Betrieb. So können Fehler gemeinsam gefunden, dokumentiert und behoben werden. Beispiele wie die Überwindung von Zäunen an gleichen Stellen, könnten so zukünftig verhindert und sich der bisherige Kommunikationsaufwand im Nachgang gespart werden, wenn ein Austausch direkt vor Ort erfolgt. Das Wolfsmonitoring soll dabei weiterhin unabhängig vom LANUV organisiert werden.
Wichtig ist in Wolfsgebieten das Hundemanagement. Hunde sind an der Leine zu führen, damit in jedem Fall eine Hybridisierung vermieden wird. Wolf-Hund-Hybride zeigen ein aggressiveres Verhalten und bewegen sich weniger heimlich in Kulturräumen, so dass es zu Gefahrensituationen mit Menschen und Nutztieren kommen könnte.
Die rechtliche Unklarheit für das Halten von Hunden hinter Elektrozäunen muss behoben werden, wenn man Herdenschutzhunde etablieren und die Weidetierhalterinnen vor Anzeigen schützen möchte. Gleichzeitig ist zu klären, was passieren soll, wenn ältere Hunde den Herdenschutz nicht mehr gewährleisten können. Auch hier darf es nicht zu anderweitigem Tierleid kommen und sowohl bei den Unterhaltskosten als auch den Tierarztkosten müssen Schafhalterinnen anteilig entlastet werden. Die bisherige Regelung, dass zwei Herdenschutzhunde ab 100 Weidetieren finanziert werden und für jede weitere 100 Weidetiere nur ein weiterer Hund hinzukommt, sollte durch eine an die realen Anforderungen der jeweiligen Herde angepasste Regelung ersetzt werden.
Die Landesarbeitsgemeinschaften befürworten eine intensive Zusammenarbeit mit den Naturschutz- und Tierhalterinnenverbänden, um flächendeckend kompetente und schnelle Beratung und Hilfe bereitstellen zu können. Wie vorhergesehen sind zwischen den ersten Wolfssichtungen und späteren Schadensfällen nur wenige Jahre vergangen. Dabei ist eine Dynamik entstanden, welche Verwaltung, Landwirtschaft und Öffentlichkeit zunehmend in eine kritische Haltung gegenüber dem Wolf in NRW treibt. Diesem Trend muss nun entschieden entgegengetreten werden. GRÜNE Politik in NRW muss dafür eintreten, echten Artenschutz für alle Betroffenen zu ermöglichen und praktikable Lösungsansätze aufzuzeigen, die die aktuelle Landesregierung vermissen lässt.
Letzter Ausweg “Entnahme einzelner Wölfe”
Empathie heißt für uns GRÜNE Einfühlungsvermögen für alle Seiten: Die betroffenen Jagd- und Beutetiere, die betroffenen Tierhalterinnen und alle Menschen vor Ort. Wenn unter klaren, objektiven und nachweisbaren Standards festgestellt wird, dass ein bestimmtes Wolfsindividuum eine zu große Gefahr für Menschen darstellt oder gleichzeitig einen so hohen wirtschaftlichen Schaden anrichtet, dass eine Koexistenz nicht mehr durch Schutzmaßnahmen ermöglicht werden kann, muss auch eine Entnahme möglich sein.
Daher schließen wir uns in einem eingeschränktem Rahmen der Stellungnahme mehrerer fachkundiger Verbände vom 12.06.2019 an, welche Kriterien für den Fall festgelegt haben, dass der zu entnehmende Wolf hinreichend eindeutig identifiziert oder während des Angriffs auf die geschützten Weidetiere gestellt werden muss. Entnahmen müssen von behördlich bestellten Fachpersonen ausgeführt werden und dürfen nur dann möglich sein, wenn im Einzelfall
- die Überwindung einer Maßnahme des Standardschutzes gefolgt von einer weiteren Überwindung einer Maßnahme des erhöhten Schutzes, oder
- die Überwindung einer Maßnahme des erhöhten Schutzes, oder
- der Angriff während der aktiven Behirtung einer Herde, beispielsweise durch Hütehaltung
erfolgte und rechtsicher nachgewiesen wurde.
Wichtig für uns GRÜNE ist, dass die Vorgaben des Bundesnaturschutzgesetzes weiter konsequent umgesetzt und geschärft werden. Entnahmen müssen nach §45 und §45a BNatschG im Interesse der Gesundheit des Menschen, der öffentlichen Sicherheit und des Schutzes der Zivilbevölkerung sein. In besonderen Fällen gibt es im Weiteren Ausnahmen zur Abwendung ernster land-, forst-, fischerei- oder wasserwirtschaftlicher oder sonstiger ernster wirtschaftlicher Schäden. Ebenso darf der Wolf aus rechtlicher Perspektive anderen natürlich vorkommenden Tier- und Pflanzenarten nicht im Weg stehen.
Beschlossen im November und Dezember 2021 von:
LAG „Ökologie“
LAG „Tierschutzpolitik“
LAG „Wald, Landwirtschaft & ländlicher Raum“
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